IX. Internationales Theatertreffen in Transsilvanien
Das Theaterfestival INTERNATIONAL MEETINGS IN CLUJ widmet sich seit nun fast einer Dekade einem Autor oder einem Thema. Dazu bereitet das Rumänische Nationaltheater Cluj eigene Produktionen vor oder lädt andere rumänischen Theatern nach Transsilvanien (Siebenbürgen) ein.
„Ost-West, Pfade der Freiheit, Unser Europa, Extreme, Auf der Suche nach dem Autor u.a.“ gaben die Richtungen vor. Im letzten Jahr stand der 100. Geburtstag Rumäniens im Vordergrund, dieses Jahr der gleichrunde Feiertag des Theaters, das 1919 die erste Saison in Transsilvanien eröffnete. Damit wurde wahr, woran heute immer noch und immer wieder festgehalten werden muss: kreative Energie nach langer dunkler Zeit der Stille freizusetzen und zu gestalten.
GEMEINSAM (IMPREUNA) lautete diesjährig der Slogan für Schauspieler, Regisseure und Theaterprofis, Rumänen und Ungarn, von überall aus Rumänien, sich und ihr Wissen einzubringen, um für die heutige Generation die Arbeit in Freiheit zu ermöglichen. Das Nationaltheater und die alternative, freie Bühne REACTOR trugen gemeinsam zu diesem Treffen alter und neuer Stücke rumänischer und internationaler Autoren aus dem In- und Ausland bei.
„Mit diesem Programm möchte das Nationaltheater Cluj-Napoca sein Bestreben zum Schutz und zur Förderung der rumänischen Theaterkultur im europäischen und internationalen Kontext weiterentwickeln. Aufgrund der verantwortungsvollen Beteiligung unseres Theaters und seiner Partner an der Organisation dieser internationalen Treffen sind wir überzeugt, dass sie in einem wertvollen und substanziellen Umfeld einen kreativen nationalen und internationalen Dialog einleiten und festigen werden. Ziel des Festivals ist es, eine Dialogplattform zwischen verschiedenen Kulturpersönlichkeiten zu schaffen und Kommunikationsnetze zwischen Theaterpersönlichkeiten aus aller Welt zu initiieren sowie kulturelle Kollaborationen und Initiativen im internationalen Kontext durchzuführen,“ so Mihai Maniutu (Generalmanager/künstlerischer Direktor) und Stefana Pop-Curseu (künstlerische Leitung)
Ausgewählte Veranstaltungen im Überblick, eine ganz persönliche Auswahl des Chronisten
„Tod und Reinkarnation als Cowboy“,
ein Frühwerk des rumänischen Regie-Shooting-Stars Andrei M?jeri – mit einiger Luft nach oben – beleuchtete in Form einer Country-Soap Rodrigo Garcías ehemals starken und umstrittenen Text, das tägliche Inferno und reizte stereotype Grimassen des Lachens voll aus. Die einzelne Stimme, die der Dramatiker implizierte, wurde vom Regisseur fragmentarisch an zeitgenössische Frauen angepasst, lebende Beispiele für das Wonder Woman Syndrom.
Vier Schauspielerinnen warfen dem Publikum wütend menschliche Erniedrigung, viszerales Lachen und unmögliche Liebe ins Gesicht. Und ihre Polyphonie wurde dabei zu einem delirierten Geständnis, einem post-absurden Rätsel. Das Schauspiel wolle unbedingt theatralisch sein, durch mechanisierte Gesten, groteske Grimassen oder (leider nur zu selten wahrnehmbares) obsessives Stöckelschuh-Geklackere, das durch verschiedene Rhythmen stakkatierte, ein Plädoyer für die Rettung kollidierender weiblicher Universen abgeben. Diese Art von Drama ludt ein, in die chaotische Welt von García einzutauchen, anstatt sie zu entschlüsseln. „Wenn eine Katastrophe kommt, kommt sie und kommt für uns alle,“ so der Regisseur.
„Unabhängig vom Titel seiner Inszenierungen bewahren M?jeris Charaktere die Menschlichkeit in ihren unterschiedlichsten Formen (verirrt, verlassen, missbraucht, gerettet). Trotz Humors und Distanziertheit erfüllt sich das tragische Schicksal der Personen durch die fehlende Wahlmöglichkeit.“ (s. Oana Cristea Grigorescu in ‚Die Gegenwart der Tragödie‘, Irina Wolf /thaetrescu.com)
Gábor Tompa zu seiner Shakespeare „Der Sturm“ Inszenierung
Es geht auch um die Dualität des Menschen. Es gibt einen inneren Kampf, der nicht nur innerhalb dieses Charakters stattfindet, sondern auch innerhalb jedes anderen Charakters. Keiner von uns wird gut oder böse geboren. Wir haben alle gleiche Chancen … es liegt an uns und unserem Schicksal, dieses Potenzial voll auszuschöpfen. Obwohl er selbst Opfer einer Tyrannei geworden ist, ist Prospero gezwungen, ein Tyrann zu werden. Jeder von uns könnte den gleichen Weg gehen … Aus dieser Perspektive hat das Stück eine zutiefst christliche Botschaft. Es gibt keinen anderen Weg, es zu begreifen. Es deutet auf die höchsten Gebote der Liebe und Vergebung hin. Prospero erinnert Hamlet an das starke Verlangen nach Rache, das sie beide auslöst, aber auch an ihren gegenseitigen Respekt vor der Kunst. Hamlet will jedoch die Wahrheit herausfinden und nicht unbedingt Rache üben. Prospero hingegen besitzt ein Talent, eine Art Magie. Er stellt eine Beziehung zu okkulten Kräften her. Seine Handlungen sind von vielen Möglichkeiten und Schichten geprägt, und wir sollten sie alle berücksichtigen. Sie sollten irgendwie angenommen und in diesem spezifischen Geheimnis festgehalten werden, das wahrscheinlich niemand entschlüsseln konnte, auch nicht, wenn er sich tief in die eigene Persönlichkeit eingegraben hätte. Wir sollten uns also vor Augen halten, dass sich mehrere Schichten innerhalb des Menschen überlappen. Wie können wir unsere eigenen Gedanken, unseren eigenen Geist beherrschen? Wie nutzen wir sie? Wie nutzen wir unser Talent? Prospero pendelt zwischen einem kindischen Zustand und extrem weisen, reifen Ansichten. Der Sturm stellt ihn vor eine große Herausforderung. Es könnte eine herausragende Leistung sein, und manchmal lässt er sich von dieser Idee und der bloßen Kraft seines kreativen Talents mitreißen. … Jeder von uns ist in gewisser Weise Prospero und Caliban und Ariel und Trinculo und Sebastian und so weiter. Die ganze Welt ist in diesem Stück. Was mir aber wichtig ist, ist der Versuch herauszufinden, wo alles schiefgelaufen ist, nachdem uns am Anfang alles gegeben worden war. Wir haben alle eine Kindheit, Unschuld, Freundschaften. Diese Kernelemente der Menschheit geben uns allen gleiche Chancen, auch wenn einige von uns arm und andere reich geboren werden. Wo tritt die Störung auf? Das ist hier die Frage. Und die Frage ist, ob einige Dinge noch behoben werden können. Ich würde sagen, hier kommt die grundlegende Rolle des Theaters ins Spiel. Das Theater verlangt ständig nach Veränderung, nach Selbstbeobachtung. … wir sind im Grunde genommen Teil derselben großen Familie und das nicht nur aus biologischer Sicht. … „
„99,6% sind keine Leistung, sondern ein fragiler Weg zu Akzeptanz und Solidarität.“
Mit dem REACTOR für Gestaltung und Experiment hatte das Nationaltheater Cluj einen ausgezeichneten Partner und Mitstreiter für die International Meeting Days 2019 gefunden. Jung, aktiv, dynamisch, intellektuell und politisch zeigte hier ein Künstlerkollektiv Flagge. Mit 99,6% dokumentierten neun ungarische und rumänische Künstler, die sich um das hundertjährige Jubiläum trafen, ein wichtiges Stück jugendlicher Aussage darüber, was sie im echten multikulturellen Rumänien (im andauernden ungarisch-rumänischen Konflikt) zusammenbringt, über das Zusammenleben und die gemeinsame Sprache.
„Wir teilen 99,6% unseres genetischen Materials. 99,6% von uns träumen die gleichen Dinge, aber wir definieren uns nur durch das, was uns unterscheidet. Wir bauen Fiktionen und fühlen uns in ihnen sicher. Fiktionen, bei denen wir uns von den anderen unterscheiden.“
Ein engagiertes Stück, dem man nach einer vorangestellten Phase der Entschleunigung zuhören, zusehen und mitfühlen musste, was positive Geister in einem Mix aus Sprache, Bewegung, Songs und mit guter unterstützender Technik zu sagen hatten.
Treffen und Anhören, was Robert Cohen, amerikanischer Universitätsprofessor, Theaterregisseur, Dramatiker und Theaterkritiker zu erzählen hatte, präsentierten Mihai und Anca M?niu?iu.
Heute ist er emeritierter Professor, nachdem er seit 1965 fünfzig Jahre an der University of California in Irvine unterrichtet hat. Er schreibt weiterhin und hat zahlreiche Theaterbücher, Artikel, dramatische Anthologien und viele Theaterstücke in zahlreichen Ländern und ein Großteil der Vereinigten Staaten. Er wurde von der Voice and Speech Trainers Association zum Master Teacher ernannt, von seinen Mitlehrern als „wandelndes Theaterverzeichnis und Enzyklopädie“ gelobt und im Laufe seiner Karriere mit der polnischen Ehrenmedaille, dem Honoris Causa Professor der Babes-Bolyai-Universität in Rumänien geehrt, …
CHIRITZA ÎN CONCERT
Und einmal mehr überraschte das Nationaltheater Cluj sein Publikum und speziell die Besucher und Gäste der Meeting Days mit einem echten rumänischen Highlight: Die uralte Story „Chiriza“ von Vasile Alecsandri und Matei Millo (kennt jeder in Rumänien) über die Mutter, die ihre Töchter in die Stadt bringt, um sie dort bestens zu verheiraten, als musikalischer Schwank bravourös in Szene gesetzt: CHIRITZA ÎN CONCERT, von Ada Milea.
Schon so oft ist der Texterin, Komponistin und rumänische Chanson Sängerin Wunderbares eingefallen. CHIRITZA schlug jedoch alle Rekorde, nicht zuletzt wegen einer Crew, die an Talent und Spielfreude nichts zu wünschen übrigließ.
Ein Festival rumänischer und ungarischer Darsteller, Schriftsteller und Regisseure gemeinsam, die einluden zum Nachzudenken und Zusammenzuwachsen, ein wichtiger Schritt zum 100sten des rumänischen Nationaltheaters im mit Vorurteilen stark belasteten multikulturellen Rumänien (Dieter Topp)
weitere Info: teatrulnationalcluj.ro
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